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Im Tal der Kastanien

Im unteren Bergell zwischen den Dörfern Bondo, Soglio und Castasegna befindet sich einer der grössten Kastanienwälder Europas. Kastanien haben dort einen hohen Stellenwert.

Text Fabia Bernet / Coop Zeitung

Die Sonne draussen scheint viel zu grell, als dass die Augen sofort etwas vom dunklen Innern des Raums erkennen könnten. Der erste Sinn, der greift, ist der Geruch. Kalter Rauch hat sich im doppelstöckigen Gebäude ausgebreitet, in den Ritzen zwischen den Steinen und im Holz. Es riecht nicht unangenehm.

Es ist die Art von Rauch, die sich nach einem Lagerfeuer in den Kleidern festsetzt und auch nach dem Waschen noch da ist. Die kleine Hütte steht unweit des Bergeller Dörfchens Soglio GR. Plazza heisst dieser Abschnitt kurz vor dem Dorf. Hierher verirrt sich nur, wer zu Fuss unterwegs ist oder von Promontogno mit dem Postauto kommt und kurz vor Soglio aussteigt. Viel gibt es hier nicht. Keine Parkplätze, kein Trottoir. Nur knorrige Kastanienbäume, Wiese, die kurvige Strasse und eben die Cascine, wie die alten Steinhäuschen im Tal genannt werden. Hier oben ist die Zeit stehen geblieben. Die Häuschen wirken wie aus der Zeit gefallen.

In den Cascine, das erklärt Luca Pitsch, werden im Herbst die gesammelten Kastanien geröstet. Der 33-Jährige lebt erst seit drei Jahren in Soglio, zuvor war er in Bern zu Hause. Seine Frau ist im Bergell aufgewachsen, die Familie folgte ihrem Heimweh. Hauptberuflich ist Pitsch Werklehrer in Zuoz und Maloja GR. Doch als Vorstandsmitglied der «Associazione Castanicoltori Bre- gaglia» ist er eng mit der alten Tradition der Bergeller Kastanien verbunden. Im Herbst, wenn das braune Gold aus seiner stacheligen Hülle purzelt, entfachen die Bewohnerinnen und Bewohner des Tals das Feuer in ihren Dörrhäuschen mit Kastanienholz. «Das enthält viel Tannin und verbrennt darum nicht so schnell», sagt Luca Pitsch. Im unteren Stock der Cascina sorgt das Feuer für den Rauch, der dann in die mit einer steilen Treppe verbundene obere Etage steigt. In Kästen, die wie kleine Bettchen mit Lattenrost aussehen, liegt die Ernte und wird während Wochen langsam geräuchert. So kann sie später gut zu Mehl verarbeitet werden.

Das Trocknen der Kastanien sei elementar, sagt Pitsch. Anderenfalls würden sie durch die Feuchtigkeit schnell verschimmeln. Ein Problem, mit dem sich auch sammelwütige Touristinnen und Touristen konfrontiert sehen. «Oft werfen sie die Kastanien einfach in einen Plastiksack. Das geht meist schief. Sie müssen mindestens ausgebreitet werden und so trocknen können.» Doch darf man die Edelkastanie überhaupt einfach vom Boden klauben und mitnehmen? Nein, denn die Kastanienbäume sind in Privatbesitz. Das Kultivieren und auch das Pflegen der Haine kosten viel Zeit und Energie. Luca Pitsch zeigt gen Himmel: «Man muss aufpassen, dass andere Bäume nicht plötzlich die Kastanienbäume überragen und ihnen das Licht streitig machen.» Auch das Veredeln der Bäume, so bezeichnet man eine wichtige Methode zur Vermehrung, das Zurückschneiden der Äste und das Mähen des Grases sind aufwendig.

Nur durch diese Hingabe bleibt einer der grössten Edelkastanienwälder Europas erhalten. «Das Interesse an den Kastanien wächst bei den Jungen der lokalen Bevölkerung wieder», sagt Luca Pitsch. «Wenn man unter dem Kastanienbaum aufgewachsen ist, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man liebt die Marroni oder aber man kann sie nicht mehr sehen.» Der Grossteil der Privatpersonen und Bauern, die in den Selven, also in den Kastanienwäldern, werken, sind dem Verein angeschlossen, dem Pitsch vorsteht. Dieser hat einerseits den Zweck, die Kultur rund um die Kastanien zu erhalten und zu fördern, die Selven zu pflegen und auch den ganzen Verkauf der frischen wie auch getrockneten Kastanien an die Kundinnen und Kunden zu koordinieren. «Es ist viel gegangen in den letzten 15 Jahren. Wir sind mittlerweile bei einem Preis angekommen, wo man sagen kann, dass sich das auch finanziell lohnt und es nicht nur aus Leidenschaft gemacht wird», erklärt Pitsch.

Abnehmer seien Privatpersonen, Läden und Restaurants, aber auch Firmen wie die Louis Ditzler AG, die die Kastanien weiterverarbeiten. Das Familienunternehmen produziert den neusten Zuwachs im Tiefkühlregal von Coop: ein Püree aus Bergeller Edelkastanien. «Es passt perfekt in unser Sortiment», sagt Malte Stackebrandt (37), Produktmanager bei Coop. «Erstens stellt es eine Verbindlichkeit gegenüber der einheimischen Agrarindustrie dar, indem es die traditionsreiche Produktion und Verarbeitung von Schweizer Marroni fördert.» Zweitens könne durch die kurzen Logistikwege und die Aufrechterhaltung und Pflege von Hochstamm-Kastanienbäumen einer nachhaltigen Lebensmittelproduktion Rechnung getragen werden.

Das Bergeller Kastanien-Püree ist prädestiniert für ein harmonisches Aufeinandertreffen auf dem Dessert-Teller mit Schlagrahm und Meringues. Dann, wenn wir im Rest der Schweiz unsere Vermicelles genüsslich verspeisen, beginnt nach getaner Arbeit Luca Pitschs Lieblingszeit: «Wenn die Touristen gehen, der Nebel aufzieht und der Rauch aus den Cascine noch im Tal hängt: Dann ist die Stimmung einfach magisch.»

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