In der Nordwestschweiz beginnt die Kirschenernte. Die weitläufigen Hochflächen des Baselbieter und Fricktaler Tafeljura sind geprägt von imposanten Hochstammobstbäumen. In der offenen Flur stehen Kirschen, in den Baumgärten der Dörfer, den Talmulden und entlang der Bäche Zwetschgen, welche später im Jahr reif werden.
Die Ernte der Hochstammkirschen ist mit viel Arbeit und Aufwand verbunden. «Mit Liebe und von Hand gepflückt» müsste auf jeder Packung stehen, meint Maja Graf, Nationalrätin und Co-Präsidentin von Hochstamm Suisse. Um einen dieser mächtigen Bäume – der Ertrag wird rund 150 kg Kirschen betragen – zu ernten, sind drei bis vier Menschen einen Tag lang beschäftigt. Die hohen Leitern müssen gestellt und jede Kirsche sorgfältig von Hand gepflückt werden, denn schliesslich sollen die kostbaren Früchte nicht verletzt werden.
Der Ertrag für Hochstammkirschen hängt von vielen Faktoren ab. Mehr als 2.50 Franken pro Kilo wird es aber nicht sein. Daher können sich die Hochstammbauern keine Erntehelfer mehr leisten. Auch die familieninternen Strukturen haben sich verändert: waren früher noch drei bis vier Generationen mit dem Pflücken beschäftigt sind es heute höchstens noch ein paar Freunde, die ab und zu mal aushelfen.
Ein neues Projekt im Zusammenarbeit mit dem Dachverband z’RächtCho Nordwestschweiz und Hochstamm Suisse versucht hier Abhilfe zu schaffen. Das Ziel von z’RächtCho NWCH ist es, Flüchtlinge unabhängig von ihrer Aufenthaltsbewilligung sozial und wirtschaftlich zu befähigen und zu integrieren. Damit werden Geflüchtete an die gesellschaftlichen Strukturen herangeführt und für den Schweizer Arbeitsmarkt befähigt.
Die Familie Schweizer vom Höldihof in Buus, BL haben sich für dieses Pilotprojekt zur Verfügung gestellt: seit knapp zwei Wochen helfen Sakhi Noori, Murat Turan, Xasan Cabdullahi und Aref Schahi – sie kommen aus Afghanistan und Somalia – der Familie Schweizer bei der Ernte. Erich Schweizer meint, dass er sich bis vor kurzem nicht hätte vorstellen können mit Geflüchteten zusammen auf einer Leiter zu stehen. Allerdings hätte das Projekt vom ersten Tag an bestens funktioniert. «Murat lachte mich aus, als ich ihm zeigen wollte, wie man die Kirschen pflückt». Denn auch in ihrer Heimat hätten die Vier in der Landwirtschaft gearbeitet und konnten vom ersten Augenblick an eingesetzt werden.
Neben dem rein wirtschaftlichen Nutzen für die Hochstamm Bauern entsteht auch ein gesellschaftlicher Nutzen: beim täglichen, gemeinsamen Mittagessen sitzen die Töchter der Familie Schweizer gerne mit den neuen Erntehelfern zusammen und bringen ihnen Deutsch bei. Murat meint, dass es ihm so leichter falle die Sprache zu lernen, da er im Alltag einen konkreteren Bezug dazu hat.
Auch Pierre Coulin, Geschäftsführer von Hochstamm Suisse, ist vom Projekt begeistert: «Die Pflege der ökologisch wertvollen Hochstammlandschaften ist aufwendig und ohne Unterstützung fast nicht mehr zu leisten.»
Ein Projekt also, von dem alle profitieren. Mirjam Würth, Landrätin Basel-Land und Geschäftsführerin vom Verband z’RächtCho Nordwestschweiz betont, «dass heute erst 35% - 40% der Geflüchteten nach fünf Jahren im Arbeitsleben integriert sind. Gleichzeitig bleiben fast ein Drittel der Lehrstellen in Basel-Land unbesetzt. Das fordert uns zum Handeln auf».